Schlaf in den Uhren von Uwe Tellkamp – Interpretation, Inhaltsangabe

Schlaf in den Uhren Interpretation

Textaufbau:

 

a) Die Linie 11 in Dresden – Der rote Faden der Erzählung

An der Abfolge der Haltestellen orientieren sich die Gedanken und Erinnerungen.

Die einzelnen zeitlich übereinandergelagerten Gedanken und Erinnerungen werden durch Sinneswahrnehmungen (auditiv, visuell und olfaktorisch („geruchsmäßig“)), die Assoziationen hervorrufen, miteinander verknüpft.

 

b) Grobgliederung:

Die Auszüge aus dem „Rosenkavalier“ (Monolog der Marschallin) bilden den Rahmen.

Der erste Teil besteht im Wesentlichen aus der wechselnden Erinnerung der Straßenbahnfahrt und der erinnerten Erzählung von Lucie Krausewitz, die durch den ähnlichen Geruch von Schokolade und „Duchi-Parfum“ verbunden sind. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem vergeblichen Versuch des Menschen, das unaufhaltsame Fließen der Zeit aufzuhalten.

Im zweiten Teil ändert sich das Erzählverhalten. Über das Erinnern an das leitmotivische Schlagen der Uhren im „Rosenkavalier“ und später im ebenfalls leitmotivisch angelegten „tiefen Schlaf“ erfährt die Erzählung eine Rhythmisierung und Beschleunigung, die ihren Niederschlag in dem Übereinanderlegen von Erinnerungen, festgemacht an einzelnen Gebäuden, findet. Der zweite Teil beschäftigt sich damit, dass die Zeit nichts verändern kann und dass ihr Vergehen zwar nicht permanent spürbar ist, zuweilen aber ganz deutlich zu Tage tritt.

Erzähltechnik:

 

a) Erzählperspektive

Der Erzähler Fabian fügt erlebte und gehörte Erinnerungen zu einem Gesamtbild zusammen. Dadurch entsteht der Eindruck einer Mehrstimmigkeit des Erzählverhaltens (Perspektivenwechsel).

Tatsächlich behält jedoch Fabian in allen Erzählsequenzen die Rolle des Erzählers, mit der er hinter die erinnerten Erzählerstimmen zurücktritt.

 

b) Darbietungsform des Erzählten (Erinnerten) in verschiedenen Erinnerungsströmen:

Erzählerbericht

Beschreibungen in der Ich-Perspektive

Teilweise Anleihen bei der Technik des Bewusstseinsstrom (vgl.: Ereignisse in der Schokoladenfabrik: ein scheinbar freies, ungeordnetes, z.T. durch Assoziationen ausgelöstes Fließen der Gedanken, keine Redeeinleitungen bei der Wiedergabe der Personenrede)

 

c) Erzählhaltung:

Unterschiedliche und wechselnde Erzählhaltungen: sachlich beschreibend, reflektierend, ironisch, kommentierend, engagiert, Mitgefühl, (in Form von Lucie: sachlich, emotionslos, ironisch, kritisch, verspottend, satirisch entlarvend)

 

d) Zeitgestaltung

Diskontinuierliches Erzählen / keine chronologische Struktur

Hintereinander- und Ineinandergeblendete unterschiedliche Zeitabschnitte (Zeitfenster – orientiert an den Haltestellen der Linie 11) aus der deutschen Geschichte verdeutlichen Verflüssigung der Zeit [Hinweis: Nur Literatur vermag eine solch überblickende Geschichtsdarstellung, eine Vogelschau-Perspektive auf die Geschichte zu geben!]

 

e) Einsatz der Montagetechnik

Montage oder auch Collage bedeutet das Zusammenfügen von sprachlichen, stilistischen oder auch inhaltlich unterschiedlichen Textteilen. Dadurch entstehen harte Übergänge (vgl.: Schnitte beim Film), ein Hin- und Herspringen in Raum und Zeit, Kollisionen unterschiedlicher Wirklichkeitsbereiche.

 

Wirkung / Funktion der Erzähltechnik:

 

1. unmittelbares Nachempfinden der Erinnerungen des Erzählers durch den Leser

2. Erfahrung der Eindringlichkeit und Sinnlichkeit des Erzählten durch den Leser

3. Leser „verschmilzt“ mit dem sich erinnernden Erzähler- P5-Vanderbeke!

 

Schreibstil:

 

a) Satzbau:

Hypotaktisch, Aufzählungen von Einzelheiten (Enumerationen), häufig unvollständige Sätze (Elliptischer Satzbau)

 

b) Sprache

Teilweise sehr bildhaft, sehr detaillierte, sachbezogene Beschreibungen, sehr realitätsgebunden, viele Orts- und Personennamen, Dominanz des Adjektivs (Adjektiv- oder Attributstil)

Wiedergabe von Sinneswahrnehmungen: Sehen, riechen, hören

Leitmotivische Wiederholungen, die das Thema akzentuieren (Zeit fließt, Schlaf, …)

Metaphorische Verklammerung einzelner Erinnerungsblöcke („Duchi“-Parfum)

 

 

Sprachliche Gestaltung am Beispiel einzelner Sequenzen:

 

Erste Erzählsequenz von Fabian:

Das Fließen der Zeit und das Fahren der Straßenbahn werden durch die Syntax (Satzbau) nachgezeichnet: Lange Sätze mit wenigen Unterbrechungen, Parataxe, Partizipien, Relativsätze und indirekte Fragesätze.

Gedankenketten / Assoziationsketten lassen den Leser dir Gedanken Fabians direkt miterleben (Unmittelbarkeit wird hergestellt)

Erzählsequenzen Lucie Krausewitz im ersten Teil:

Wortschatz: macht Nachkriegserinnerungen greifbar („tauschen“, „Fliegeruniform“, „Lumpen“, „Erschöpfung“, „Mägen füllen“, etc.)

anaphorische Gestaltung: Verknüpfung der einzelnen Erzählsequenzen Lucies („Ich erinnere mich, Fabian.“ )

direkte Anrede, Zitate: Eindringlichkeit der Erzählung

genaue Beschreibungen: plastische Schilderungen (Gerüche, dialektale Sprache des Vorarbeiters, Tiefflieger, genaue Aufzählung des Hörbaren)

wörtliche Rede: Spannungssteigerung

Satzbau überwiegend parataktisch: Vorgänge laufen ab wie im Traum, ein Einschreiten ist unmöglich.

Episodenhafte Einschübe Fabians:

Diverse sprachliche Mittel (rhetorische Figuren) zur Charakterisierung der Buchhändlerinnen, der russischen „Freunde“ und der russischen Frauen.

Aufzeigen der DDR-Wirklichkeit, der vorgeschriebenen Ideologie in einem kritischen Licht durch die Wortwahl und den Einsatz rhetorischer Figuren.

o Neologismen (Schierlingsminen) , Metaphern, Adjektive, die Hass und Aggression zeigen, aber auch im Ansatz Empathie.

Lucie Krausewitz im zweiten Teil:

überwiegend parataktischer Satzbau (Marsch im Takt)

Wortfelder, die Misstrauen verdeutlichen: Misstrauen als Grundhaltung zwischen DDR-Bürger und Funktionär.

Metaphern

DDR-Terminologie

Ironie

 

 

 

Inhalt / Aussage des Romanauszugs:

 

Mögliche Aussage: Aufhalten der Zeit ist nicht möglich. Tellkamp verdeutlicht dies dadurch, dass er einerseits Zeitpausen einlegt, indem er Zeitfenster öffnet, andererseits die so verlorene Zeit durch ein rhythmisierend beschleunigtes Erzählen wieder einholen muss. So ist der Mensch der Zeit genauso ausgeliefert wie den Zeiten, in denen er lebt.

Mit schonungsloser Offenheit zeichnet Tellkamp ein Bild von der DDR-Vergangenheit, legt Strukturen frei, die so deutlich hervortreten, als sei die Leserin oder der Leser vor Ort gewesen. Dabei zeigt er die Dichotomie zwischen tiefer emotionaler Ablehnung der russischen Offiziere, deren Frauen und der DDR-Funktionäre und die zeitweise auch vorhanden gewesene Empathie zu diesen. Zu einem abschließenden Urteil kommt Tellkamp nicht. Vielmehr lässt er den Leser teilhaben an dem Prozess der inneren Verarbeitung dieser Zeit und ihren Erscheinungen, der zwar in Gang gesetzt, aber noch längst nicht abgeschlossen ist.

 

Das Thema „Zeit“ wird also inhaltlich und strukturell verarbeitet durch…

formale Gestaltungsmittel (siehe oben)

Reflexionen über das Phänomen der „Zeit“, das während der Straßenbahnfahrt permanent präsent ist.

die Darstellung des spezifischen Zeitgeistes geschichtlicher Epochen wie z. B. der DDR-Vergangenheit.

das Öffnen von Zeitfenstern, mit denen Tellkamp dem mitfahrenden Leser einen Blick auf Vergangenes ermöglicht, wobei der Zeitfluss unterbrochen wird (hier klingt „der Schlaf in den Uhren“ an),

eine Beschleunigung des Vergehens der Zeit im zweiten Teil, als ob der Erzähler die verlorene Zeit gleichsam wieder einholen möchte.

den Titel des geplanten Romans („Der Schlaf in den Uhren“ )

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