Kurze Inhaltsangabe zu Der Sandmann
Hoffmanns 1816 erschienene Erzählung „Der Sandmann“ handelt von dem jungen Studenten Nathanael, der sich, vorbelastet durch ein Kindheitstrauma, in den Automatenmenschen Olimpia verliebt, letztlich dem Wahnsinn verfällt und sich das Leben nimmt. Hoffmanns Erzählung gilt als Kunstmärchen der Schwarzen Romantik und zählt zu seinen bedeutendsten Werken. Aufgebaut ist der sogenannte Schauerroman in drei Briefe, ein erster von Nathanael an Lothar, den Bruder seiner Verlobten Clara, ein zweiter von Clara an Nathanael und wiederum einer von Nathanael an Lothar. Im Anschluss an die Briefe wendet sich ein fiktiver Erzähler direkt an die Leser und berichtet vom Fortgang des Geschehens.
Ausführliche Inhaltsangabe zu Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann
Erster Brief: Nathanael an Lothar
In seinem ersten Brief an Lothar, den Bruder seiner Freundin Clara, erwähnt Nathanael die „zerrissene Stimmung“ seines Geistes, die aus der Erinnerung an sein erlittenes Kindheitstrauma resultiert: Nathanael erinnert sich, dass der Vater seiner Schwester und ihm vor dem Schlafengehen stets Geschichten erzählt hat und „darüber so in Eifer [geriet], dass ihm die Pfeife immer ausging“. Manchmal seien die Kinder jedoch früher als gewöhnlich ins Bett geschickt worden, an den Abenden nämlich, an welchen der Vater noch Besuch erwartete und „stumm und starr in seinem Lehnstuhl“ saß. Wie der Leser der Erzählung entnehmen kann, führt Nathanaels Vater an diesen Abenden alchemistische Versuche mit dem Advokaten Coppelius durch, „der manchmal bei uns zu Mittage ißt“. Auf Nathanaels Nachfragen hin, wer denn der Sandmann sei, erzählt die Kinderfrau ihm, der Sandmann sei ein „böser Mann“, der den Kindern, die nicht schlafen gehen wollen, „händevoll Sand in die Augen [wirft], dass sie blutig zum Kopf herausspringen“. Da die Eltern an den Abenden, an denen der Advokat Coppelius den Vater besuchen kommt, in ungewöhnlicher Stimmung sind und insbesondere der Vater seine sonst recht lockere Art gegenüber seinen Kindern einbüßt, assoziiert Nathanael den Advokaten Coppelius mit dem Bild des bösen Sandmanns, das ihm von der Kinderfrau vermittelt wurde. Von Neugierde getrieben versteckt er sich eines Abends, um die Experimente seines Vaters und des Advokaten Coppelius zu beobachten, wobei er von Coppelius entdeckt wird. In seiner Erinnerung hat Coppelius ihn im Anschluss an die Entdeckung grob gepackt, auf den Herd geworfen, „dass die Flamme mein [Nathanaels] Haar zu sengen begann“ und drohte ihm damit, ihm die Augen zu entfernen. Auf das flehende Bitten des Vaters hin ließ er ihm die Augen, entfernte ihm jedoch Arme und Beine und „setzte sie bald hier, bald dort wieder ein“. Nathanael fällt daraufhin in Ohnmacht und muss wochenlang das Bett hüten, bis sein Fieber wieder abgeklungen ist und scheint von den beobachteten Erlebnissen traumatisiert.
Ein Jahr später, als Nathanael wieder gesund ist, kommt Coppelius „zum letzten Male“, um erneut Versuche mit Nathanaels Vater durchzuführen. Dieser kommt bei diesen Versuchen ums Leben. Als Nathanael seinen Vater entdeckt, liegt dieser „tot mit schwarz verbranntem grässlich verzerrtem Gesicht“ auf dem Boden. Nathanael erinnert sich, dass er aufgeschrien habe und ihm die Sinne vergangen seien.
Eigentlicher Anlass für den Brief an seinen Freund Lothar ist das Auftauchen eines Wetterglashändlers namens Giuseppe Coppola, der Lothar ein Perspektiv verkaufen wollte. Nathanael ist sich sicher, dass „jener Wetterglashändler der verruchte Advokat Coppelius“ ist und fühlt sich deswegen an sein Kindheitstrauma erinnert. Coppelius verkörpert für Nathanael das Böse, in ihm verbinden sich seine Ängste zu einem grausamen Geflecht der dunklen Mächte.
Zweiter Brief: Clara an Nathanael
Auf den Brief, der eigentlich an Lothar gerichtet ist, erhält Nathanael Antwort von seiner Braut Clara, die den Brief aus Versehen öffnete und sich auch nach Erkennen des Irrtums nicht enthalten konnte, ihn zu lesen. Sie versucht Nathanaels Geisteszustand dadurch zu erklären, dass er in seinem „kindischen Gemüt de[n] schrecklichen Sandmann aus dem Ammenmärchen mit dem alten Coppelius“ verknüpfe. Doch „nur der Glaube an [eine] feindliche Gewalt kann sie dir in der Tat feindlich machen“. Claras Erklärungen für Nathanaels Zustand sind sehr rational und in sich schlüssig. Clara drückt ihre Sorge aus und versucht, Nathanael mit allen Mitteln zu beschwichtigen und ihm deutlich zu machen, dass alles Schreckliche nur in seinem Inneren vorgehe und es in seiner Macht stehe zu verhindern, dass es Besitz von ihm ergreift.
Dritter Brief: Nathanael an Lothar
Nathanael schreibt nach Erhalt des Briefes von Clara erneut an Lothar und bittet ihn, nicht mehr mit Clara über seine Sorgen zu sprechen. Er betitelt Claras Brief als „tiefsinnig[…] philosophisch[…]“, zeigt sich angetan von ihren Worten und gibt zu, dass sie sich nicht irren kann und der Wetterglashändler Giuseppe Coppola unmöglich der Advokat Coppelius sein könne, trotzdem sei er noch nicht gänzlich beruhigt. Weiter berichtet Nathanael von Olimpia, der Tochter seines Professors Spalanzani, die er von seinem Zimmer aus habe beobachten können und fasziniert von deren Schönheit sei. Einzig ihre Augen wirkten starr und seien ihm unheimlich vorgekommen. Nathanael kündigt Lothar seinen Besuch an und drückt seine Sehnsucht und Liebe zu Clara aus.
Ausführungen des fiktiven Erzählers
Der fiktive Erzähler berichtet dem Leser, er sei ein Freund von Nathanael und wolle deshalb von dessen Schicksal berichten. Nathanael habe dem Wetterglashändler Giuseppe Coppola einige Zeit später ein Perspektiv abkauft und damit die Tochter seines Professors Spalanzani, Olimpia, beobachtet. Erst „schienen ihm [ihre] Augen gar seltsam starr und tot […] [dann] war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf“. Nathanael verliebt sich in Olimpia, Clara scheint er ganz und gar vergessen zu haben. Nicht einmal auf dem Ball bei seinem Professor Spalanzani, auf dem auch dessen Tochter Olimpia anwesend ist, bemerkt Nathanael, dass er sich in einen Automaten verliebt hat: Olimpia singt mit „heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme“, Olimpias Bewegungen beim Tanz sind von „rhythmischer Festigkeit“ und auf alles, was Nathanael ihr sagt, antwortet sie nur mit „Ach – Ach – Ach“. Vielen anderen Ballgästen kommt Olimpia komisch vor, so, als „spiele sie nur ein lebendiges Wesen“, doch niemand kommt auf die Idee, dass Olimpia tatsächlich nur ein Automat ist.
Nathanael ist vollkommen auf Olimpia fixiert, er fühlt sich, als spiegele sich in ihr sein eigenes Sein. Als er einen Streit zwischen Coppola und Spalanzani mit ansehen muss und Coppola die augenlose Puppe Olimpia mitnimmt, muss er erkennen, dass er sich in einen Automaten verliebt hat. Weil „ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegen“, wird Nathanael erneut in sein Kindheitstrauma zurückversetzt: „Da packte ihn der Wahnsinn mit glühenden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein Sinn und Gedanken zerreißend“. Wieder ist es Giuseppe Coppola, der ihn an den Advokaten Coppelius erinnert, den er mit dem Bösen verbindet und ihm etwas Wichtiges, wenn nicht sogar das Wichtigste, nimmt: In der Kindheit den Vater und jetzt die Puppe Olimpia, die er für einen Menschen gehalten und sich in sie verliebt hatte.
Als Nathanael zu Besuch bei seiner Familie ist, ist von seinem Wahnsinn nichts mehr zu spüren. In Anwesenheit der rationalen Clara, die im Gegensatz zu dem gefährdeten Künstlergemüts Nathanaels, „die lebenskräftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes“ hat, scheint Nathanael wieder vollkommen zu genesen.
Die Genesung Nathanaels ist allerdings nur ein Schein. Als Nathanael und Clara auf den Turm des Rathauses steigen, greift Nathanael zu dem Perspektiv, das er bei Coppola gekauft hat, und meint beim Anblick Claras ein „lebloses, verdammtes Automat“ zu sehen. Der Wahnsinn bricht erneut aus, Nathanael versucht Clara vom Turm zu werfen. Lothar kann Clara retten, doch in diesem Augenblick entdeckt Nathanael in der Menschenmenge den Advokaten Coppelius und stürzt sich selbst vom Turm. Der Leser erfährt zum Schluss, dass Clara mehrere Jahre nach dem Selbstmord Nathanaels mit zwei Kindern und „einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe eines schönen Landhauses“ gesehen worden sei. Dieses „ruhige häusliche Glück […], was ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können“, scheint sie nun doch noch gefunden zu haben.