A. Liebeslyrik Barock (vor 1700)
1. Epoche:
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Begriff: unregelmäßig geformte Perle: „verschroben, exzentrisch“
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Zeit: 1600 bis 1750: Zeitraum zwischen Reformation/ Renaissance und Aufklärung
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Historischer Hintergrund: Dreißigjähriger Krieg (1618-48), Hungersnöte, Epidemien, politischer/ wirtschaftlicher/ kultureller Verfall, religiöse Konflikte, Absolutismus, Ständegesellschaft
2. Kennzeichen der Epoche
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Welt-/Menschenbild: Einheit Gott und Welt, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Rollen-Ich, Seelenruhe/ Freiheit von Affekten als Ideal seelischer Entwicklung
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Lebensgefühl:
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Vanitas: Eitelkeit, Nichtigkeit, Bewusstsein von vergänglicher Schönheit/ Materie/ Diesseits, Scheinhaftigkeit (Narrenspiel)
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Carpe Diem: „Nutze den Tag“, Aufruf zum Genuss/ Fröhlichkeit/ Erotik, Genuss, Feier/ Tanz/ Wohlstand/ Gesundheit/ Sinnfreude
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Memento Mori: „Gedenke den Tod“, Mahnung vor Jenseits/ Zeit/ Sein/ Ernst/ Todesbewusstsein/ Todessehnsucht/ Zerstörung/ Verfall/ Askese/ Armut/ Krankheit
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Antithetik: „Carpe diem“ weltlicher/ geistlicher Fürsten/ Adeligen gegen „memento mori“ der Bauern, naturwissenschaftliche Entdeckungen (Leibniz, Newton, Galilei)/ Revolution gegen mystisch-religiöse Schwärmerei/ fanatischen Glauben
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Literatur:
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Funktion: Anregung zur Reflexion, Belehrung/ Erziehung zum Humanismus
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Charakter: Festgelegter Typ/ Form, virtuose Kunstfertigkeit, Symmetrie
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Motive: Schönheit, Licht, Tabak, Lebensmittel, Luxusgüter, Körper, Rose, Papagei, Stein, Totenkopf, Kompass
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3. Analyseaspekte
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Gattung: Sonett, 14-zeilig (zwei Quartette: Aufgesang, Erwartung, Spannung, Voraussetzung, Behauptung, zwei Terzette: Abgesang, Erfüllung, Entspannung, Folgerung, Beweis), Epigramm, Ode, Regelpoetik
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Form: sechshebiger Jambus (Alexandriner mit Zäsur nach 3. Hebung), Struktur in Zeiten des Krieges/ Unordnung, Finalstruktur, zweigliedrige Strophe
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Sprachliche Gestaltungsmittel: Antithese, Anapher, Akkumulation, Chiasmus, Bildlichkeit/ Allegorie, Repetition, Hyperbolik, Petrarkismus (Mann als klagender/ wehleidiger Sklave, grausame Liebesqualen, Herz von Liebesglut verzehrt, lebendiger Toter, Weichling, kalte/ grausame/ uninteressierte/ tyrannische Frau, Frauenbeschreibungen (Herz, Wangen, Haar, Brüste)
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Lyrischer Sprecher: gescheiterter Liebende in aussichtsloser Situation, Beobachter, Einsamkeit, untergeordnet, huldigend
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Verhältnis zwischen Partnern: einseitiges Interesse, gleichgestellt, hoffnungslose Entwicklung, übergeordnete Geliebte, Unerreichbarkeit, fremd, klagend
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Art der Kommunikation: Monolog
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Verhältnis zwischen Gedicht/ Leser: Identifizierung, Apostrophe
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Darstellung Liebe: Oberflächlich, unerfüllt, Schmerz, negativ, statisch, körperlich/ erotisch, irreal, vergänglich, ambivalent
B. Liebeslyrik Romantik (1795-1830)
1. Epoche:
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Begriff: „in lingua romana“ („in romanischer Sprache“): alle Schriften in der Volkssprache, Gegensatz zu „in lingua latina“
Zeit: Frühromantik/ Jenaer Romantik (1795-1805), Hochromantik/ Heidelberger Romantik (1805-1815), Spätromantik/ Berliner Romantik (1815-1830)
Historischer Hintergrund: große gesellschaftliche Umbrüche (Zeit der Koalitionskriege, Unterdrückung Europas durch Napoleon), Maschinenwelt, Anfänge Industrialisierung, Urbanisierung, keine Geborgenheit, Unbedeutendheit Mensch, Anlass für Melancholie, phantastische, unwirkliche, einfache, biedermeierliche Welt
Abgrenzung: Gegenposition zur Rationalität (Monopol der vernunftgerichteten Philosophie), Heinrich Heine (Charakter: fehlende Dunkelheit, Kulisse, semantische Inkompatibilität, überspitzte/ paradoxe/ ironische/ tautologische/ unpassende/ verschlechterte romantische Motive/ Elemente, klare/ simple Sprache, Bruch in letzter Strophe, Einsturz Kartenhaus, völlig neue Sicht, gegenteilige Strophen, Tod als Ironie oder Ernst Ziel/ Aussage: Parodie/ Kritik an Romantiker/ Traumvorstellung/ Schwelgen, Nutzlosigkeit Traum aufgrund Statik/zunehmender Entfernung, Kritik an Darstellungsweise Liebe, extreme Verzweiflung lyrisches Ich, gescheiterter Versuch Euphemisierung Wirklichkeit/Aufheiterung, Ernst)
2. Kennzeichen der Epoche
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Weltbild-/ Menschenbild:
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Wirklichkeit: Ablehnung Wirklichkeit/ Realitätsflucht, da sie Romantik verdrängt (Gewinnstreben, Aufklärung, Tristesse, Industrielles Zeitalter, bloßes Nützlichkeitsdenken etc.)
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Mensch: künstlerische Autonomie des Individuums, Einheit von Natur und Geist, von Sittlichkeit befreites und schöpferisches Ich im Mittelpunkt, 1. Mensch im paradiesischem Urzustand, 2. Verlorene Einheit, 3. Hoffnung auf Wiedergewinnung
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Lebensgefühl:
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Gefühlsbetontheit/ Empfindsamkeit: Hochschätzung der inneren Natur/ Träume/ unbewusste Triebe, romantisches Denken, Kritik an Vernunft, Aufhebung der Trennung zwischen Philosophie, Literatur und Naturwissenschaft, Erleben des Unbewussten
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Sehnsucht/ Unbegreifliche: Suche, Unerreichbarkeit, Hoffnung, Unerträglichkeit, Eintönigkeit, Melancholie, Emotionen, Schwelgen, stärkere Hinwendung zur eigenen Kultur/ Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters, natürliches Verhalten des einfachen Volkes als das Wahre, Kritik an literarische Bearbeitung/ Euphemisierung, Einfachheit/ Unbekümmertheit/ Gemeinschaftsgefühl/ Fabel/ Zauberei/ Traum
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Literatur:
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Funktion: kein Erziehungsmittel/ Instrument, Teil der idealen Welt, Vereinigung aller Gattungen der Poesie, Mittelfunktion von Dichtkunst und der abgebildeten Welt (Poetisierung der Welt) Gegenüberstellung Wirklichkeit und Gegenwelten
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Charakter: keine Reglementierung/ Negierung gültiger Gesetze, dichterische Freiheit, „progressive Universalpoesie“, Reflexionsfähigkeit und Fragmentierung (sprachlich/stilistisch), unendlich (nicht eingeschränkt durch eindeutige Definition), allumfassend, etwas Sinnliches/ Abenteuerliches/ Wunderbares/ Phantastisches/ Schauriges/ Religioeses, Abwendung von der Zivilisation, Hingabe zur Natur, unbekanntes Ziel/ Versuch zum Scheitern verurteilt, romantische Ironie (Betonung Schein/ Unerreichbarkeit), Sehnsucht
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Motive: Psyche, Sehnsucht mach Selbstfindung/ Liebe (Blaue Blume, Reisemotiv, Nacht, Einsamkeit, Religion/ Gott, Rad/ Ring, Gesang/ Musik, Natur, Paranoia, Frau), Unheimliche (Todessehnsucht), Wunderbare (Unterbewusste, Mystik, Zauber, Märchen, Träume), Politik (Weltflucht, Nationalismus, Vergangenheit), Kontraste (Himmel/ Erde, Vergangenheit/ Gegenwart, Liebe/ Scherz)
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3. Analyseaspekte
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Gattung: Volkslied, Hymne, Sagen, Märchen Legenden, Mythen
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Form: Freie Form, ungebunden an Regeln/ Sittlichkeit, subjektive Vorstellung/ Spielfeld/ Kreativität, variierender Reim/ Metrum
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Sprachliche Gestaltungsmittel: Interjektion, Moduswechsel, Alliteration, Personifikation, Symbol, Antithetik, Ironie, Diminutiv, Paradoxon, Vergleich, Enumeration, Parallelismus
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(Zeit/ Grammatik): Präteritum/Präsens
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Lyrischer Sprecher: Herausgerissen aus Einheit, Entfremdung des Alleinseins, Sehnsucht nach/ Idealisierung vergangener Liebe, Trauer, Schmerz, Sehnsucht, Freude, krankhaft, desillusioniert, Schwelgen
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Verhältnis zwischen Partnern: feste Geschlechterrollen, Mann bestimmt Liebe, Selbstverlust der Frau, Gefühl als wichtigste Fähigkeit, zerrissen/ entfernt, einseitig
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Art der Kommunikation: Monolog, Erinnerung, Lied/ Hymne
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Verhältnis zwischen Gedicht/ Leser: irreal, verwirrt, Vermischung Traum/ Realität
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Darstellung Liebe: Vereinigung nur im Jenseits, keine individuelle Liebeserfahrung, Liebesverlust als Mittel zur Darstellung von Trauer über verlorenes Paradies, Sehnsucht nach Erneuerung ursprünglichen Zustand, vollkommene Ergreifung Menschen und seine Seele/ Wesen durch Liebe, höhere Einheit durch Zweisamkeit
C. Liebeslyrik Gegenwart (1950-)
1. Epoche:
Zeit: 1950 bis heute
Historischer Hintergrund: Politisch (Weltkrieg, Globalisierung, Technologisierung, Industrialisierung
2. Kennzeichen der Epoche
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Weltbild-/ Menschenbild:
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Mensch: Zwiespalt, Verbindung durch Innen-/Außenwelt
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Lebensgefühl:
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Komplexität/ Undurchsichtigkeit der Welt: Informations-/ Werteflut, Expansion menschlicher Möglichkeiten (Technik, Technologie), Psychologie (Infragestellung Moral/ Vernunft),
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Literatur:
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Funktion: Reflektiert Wandlung/ Wachstum, Darstellung Krisensituation, reale Wiederspiegeln/ Abbildung der Umwelt, Gesellschaftskritik
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Charakter: Freiheit/ Experimentell in Semantik/ Syntax/ Sprache (Grammatik, Interpunktion), Realismus, Aussprache, Montage von traditioneller und moderner Merkmale, Subjektivität
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Motive: Psyche, Sexualität, Entfremdung, Kommunikationsproblem, Tabulosigkeit, Stadt (Gesellschaft in Beziehung zum Individuum, Selbstaufgabe, Flüchtigkeit, Anonymität), Resignation, Einsamkeit, Mangel an Entfaltung
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3. Analyseaspekte
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Form: Freie Form, ungebunden an Regeln/ Sittlichkeit, subjektive Vorstellung/ Spielfeld/ Kreativität, variierender Reim/ Metrum
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Sprachliche Gestaltungsmittel: Interjektion, Moduswechsel, Alliteration, Personifikation, Symbol, Antithetik, Ironie, Diminutiv, Paradoxon, Vergleich, Enumeration, Parallelismus
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(Sprache): pragmatisch, sachlich, nüchtern, schnörkellos, Primitivität, Umgangssprache
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(Zeit/ Grammatik): Moduswechsel
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Lyrischer Sprecher: Offenheit der Gefühle, Unfähigkeit zu lieben, Schmerz, Wahnsinn, Identitätssuche
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Verhältnis zwischen Partnern: körperliche Beziehung, unpersönlich, Anonymität
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Art der Kommunikation: gestörte Kommunikation, Hermetismus
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Verhältnis zwischen Gedicht/ Leser: Realitätsnah, Identifizierung, Hermetismus
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Liebeskonzept: alle denkbaren Gestaltungsweisen/inhaltliche Ausformungen/Facetten des Liebesbegriffes, komplexe/kaum durchschaubare Realität, Nutzung konventioneller Liebeskonzepte, Keine Euphemisierung/ Idealisierung, keine Entwicklung/ Entfaltung, Angst/ Zweifel, Enttäuschung
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