„Under der Linden“ von Walter von der Vogelweide Analyse Interpretation
Der Minnegesang ‚Under der Linden‘ verfasst von Walter von der Vogelweide um 1200 in der Epoche der Mittelhochdeutschen Dichtung, zuzuordnen der ebenen Minne stellt den literarischen Höhepunkt des Autors dar.
Inhaltlich wird der Liebesakt zwischen einer Frau niederen Standes und vermutlich einem Ritter im Freien unter einem Lindenbaum aus ihrer Sicht beschrieben. Zugleich trägt sie einen Konflikt mit sich aus, ob sie von dem Erlebten berichten soll oder aus Verantwortung gegenüber der gesellschaftlichen Norm doch lieber schweigt.
Aufgebaut ist das Lied in vier Strophen à neun Verse. Die Darstellung der einzelnen Strophen ist nahezu gleich. Betrachtet man beispielsweise die ersten beiden Strophen und vergleicht sie miteinander, so lässt sich erkennen, dass sogar die Anzahlen der Silben fast identisch sind. Die ersten beiden Verse in Strophe eins „Under der Linden/an der heide“ (vgl. V. 1f.) haben so genau wie die ersten beiden Verse in der zweiten Strophe „Ich kam gegangen/zuo der ouwe“(vgl. V.10f.) fünf bzw. vier Silben. Insgesamt lassen sich nur kleine Abweichungen verzeichnen, die aber nicht großartig auffallen, sodass man, betrachtet man den Gesang und die Strophen unter dem Aspekt des Aufbaus, sagen kann, dass der Autor beim Verfassen stetig dem gleichen Schema folgte. Auch das Reimschema folgt einem immergleichen Muster. Jeweils bis zum sechsten Vers der jeweiligen Strophe verschränken sich die Reime in Form von abcabc, anschließend umarmt ein neuer Reim die Lautmalerei „tandaradei“ (vgl. V. 8, 17, 26, 35), sodass das komplette Reimschema als abcabcded zu beschreiben wäre. Dem Dichter, der gleichzeitig auch Komponist des Minnegesangs war, wurde so das Schreiben der Begleitung erleichtert, da lediglich Musik für eine Strophe komponiert werden musste. Der Schwerpunkt beim Hören wird so auf den Inhalt des Liedes und weniger auf den Klang gelegt.
Aufgrund des Fehlens der Melodie muss das Metrum Spekulation bleiben. Wahrscheinlich klingt aber eine daktylische Form, wodurch dem Lied eine lebhafte, tänzerische Bewegung verliehen wird.
Verlässt man nun aber die formale Ebene und wendet sich der Rolle des Sprechers zu, so kann man grundsätzlich sagen, dass der Autor Walter von der Vogelweide nicht gleichzusetzen ist mit dem Sprecher in dem Minnegesang. Die Rolle des lyrischen Ichs wird eingenommen von einer fiktiven jungen Frau, daran zu erkennen, dass sie über ein sexuelles Erlebnis mit einer männlichen Person berichtet. In der zweiten Strophe redet sie so von ihrem „friedel“ (vgl. V.12), also ihrem Geliebten. Ebenfalls das Sprachverhalten deutet auf ein weibliches lyrisches Ich hin, da sie charakteristisch für das weibliche Geschlecht mit großer Intensität und Genauigkeit von ihrem wunderbaren Erlebnis erzählt. Besonders die Textstelle, an der sie darüber spricht, wie sie sich küssten, verdeutlicht dies (Kuste er mich? Wol tûsentstunt, vgl. V. 16). Eine weitere Auffälligkeit ihrer Sprache kann man darin entdecken, dass sie sich hauptsächlich des Wortfelds Natur bedient. Begriffe wie „linden“(vgl. V.1), „heide“(vgl. V. 2), „bloumen unde gras“(vgl. V.6) oder „walde“(vgl. V.7) dienen einer liebevollen Beschreibung der Situation und der Umgebung, die die zwei Liebenden umgab.
Dem Lindenbaum kommt zudem noch eine andere besondere doppeldeutige Bedeutung zu. Er beschreibt nicht nur den Ort der Handlung, sondern stellt nochmal einen Bezug zu dem Oberthema Liebe her, da die Blätter des Baumes herzförmig sind und somit ein natürliches Symbol darstellen. Im Kontrast dazu steht die Bedeutung der Linde als Gerichstbaum, in deren Schutz Entscheidungen getroffen wurden, die eine gesellschaftliche Ordnung garantieren sollten.
Zudem scheinen die Geschehnisse noch nicht lange zurückzuliegen, da die Erinnerungen noch sehr frisch sind und die Spuren des gemeinsamen Treibens noch erkennbar sind („gebrochen bluomen unde gras“, vgl. V. 6). Es wirkt, als mache sich die Sprecherin nun erstmal Gedanken über ihr Erlebnis. Dies zeigt sich an dem Prozess, der im Laufe des Liedes in ihr vollzogen wird. Zu Anfang lediglich mit Glück erfüllt, weicht ein Großteil dieser Freude in der vierten und letzten Strophe und Zweifel, Scham und die Angst vor einem gesellschaftlichen Skandal treten an ihre Stelle. Aufgrund dieser Ängste entschließt sie sich in den Versen 32f. , dass „niemer niemen/bevinde daz wan er und ich“, also dass niemand jemals erfahren soll, was die beiden taten. Ihr Entschluss, das Tun der beiden geheim zu halten geht einher mit der Vermutung, dass die beiden Liebenden unterschiedlichen Ständen angehörten und um gesellschaftlicher Verachtung zu umgehen laut der Sprecherin Verschwiegenheit darüber nun unumgänglich war. Ein weiterer Beweis dafür ist auch, dass die beiden in der freien Natur miteinander schliefen, wo sie ungestört waren und die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden, am geringsten war. Nur die Nachtigall war stummer Zeuge des Liebesglücks (vgl. V. 33f.). Der Singvogel ist zudem als dritter Protagonist zu sehen, der als stiller Beobachter fungiert und sich über die Geschehnisse erhebt, ohne aber eine Wertung abzugeben. Zudem stellt er eine direkte Verbindung zu Walter von der Vogelweide dar, dessen Wappen von einer Nachtigall geziert war, was auf sein Singtalent zurückzuführen war.
Einen Minnegesang über den Liebesakt zweier Menschen unterschiedlichen Standes zu schreiben war zu jener Zeit völlig undenkbar, weshalb es auch als literarische Revolution Vogelweides gesehen wird.
Mit diesem, darum auch als Höhepunkt seines literarischen Schaffens gedeutet, regte Vogelweide seine Zuhörer nicht nur dazu an, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und sich selber mit dieser Art der offeneren, zärtlicheren und intensivieren Art der Liebe zu identifizieren, gleichzeitig kritisierte er auch die verstaubten Vorstellungen der bisher in den Minnegesängen publiziert wurde. Durch ihn entstand eine neue Art der Minne, die ebene Minne, die Merkmale der hohen und niederen vereinte. Tugenden, wie in diesem Fall die Treue gegenüber der gesellschaftlichen Norm, werden als Merkmal aus der hohen Minne übernommen, werden aber gleichzeitig aber auch noch durch den erotischen Aspekt der niederen Minne ergänzt.
Damit rückt gleichzeitig auch die Standesangehörigkeit in den Hintergrund, während die Gegenseitigkeit und Freude an der Liebe immer mehr an Wichtigkeit gewannen und somit zu Befriedigung führten.
Aus heutiger Sicht könnte man die Vorstellung der Minne von Walter von der Vogelweide als sehr modern beschreiben, da sie bereits Parallelen zu unserer heutigen Auffassung aufweist. Die gesellschaftliche Angehörigkeit verliert an Gewicht sobald Gefühle ins Spiel kommen. Genau wie das lyrische Ich nehmen wir unsere Umwelt mit einer viel größeren Intensität wahr, sobald wir die rosarote Brille aufsetzen.
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