Analyse der Szene II,10 aus „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing

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Analyse der Szene II,10 aus „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing

Gliederung

Gegensätze zwischen dem Hofadel und dem Feudaladel im Absolutismus
Erschließung und Interpretation von II,10
Entscheidung über das Schicksal des Grafen
Ablehnung des Scheinauftrages des Prinzen von Appiani
Detaillierte Dialogerschließung
Appiani lehnt die Freundschaft Marinellis ab, nimmt aber den Auftrag an
Marinellis Reaktion auf die Ablehnung des Auftrages
Eskalation des Dialoges
Lessings Kritik am Absolutismus
Marinellis unserer Zeit

Das bürgerliche Trauerspiel „Emilia Galotti“ erschien 1772, gegen Ende der Aufklärung. Verfasst wurde es nach dem Vorbild der Legende der römischen Jungfrau „Virginia“ von Gotthold Ephraim Lessing. In ihm wird vor allem der offene Konflikt zwischen dem Adel und dem Bürgertum zur Zeit des Absolutismus hervorgehoben. Auf der einen Seite stehen die vielen absolutistischen Fürsten, die in ihrem kleinen begrenzten Gebiet willkürlich über alles verfügen und herrschen können, mit ihrem ihnen direkt verpflichteten Hofadel. Auf der anderen Seite steht das aufstrebende Bürgertum, das langsam beginnt alle gesellschaftlichen, moralischen und religiösen Grundsätze und Überzeugungen zu hinterfragen. Zwischen diesen gesellschaftlichen Gruppen ist der freie, nur dem längst machlosen Kaiser verpflichtete Feudaladel, der zwar nur wenig Land besitzt, jedoch keinem Fürsten unterworfen ist. Die zu analysierende Szene macht besonders die Abneigung des abhängigen Hofadels zum unabhängigen Feudaladel deutlich, die zum größten Teil auf Neid beruht.

Der willkürlich und nicht gewissenhaft herrschende Prinz Hettore Gonzaga begehrt die aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Emilia Galotti. Jene allerdings soll noch am selben Tag mit dem Grafen Appiani, einem Vertreter des Feudaladels, verheiratet werden. Natürlich möchte der Prinz eine Verhinderung der Höchzeit mit allen Mitteln erreichen und betraut seinen hofadeligen Kammerherren Marinelli mit dieser Aufgabe. Im folgenden Dialog zwischen Marinelli und Appiani entscheidet sich das Schicksal des Grafen, als dieser einen Scheinauftrag des Prinzen, der eine Aufschiebung der Hochzeit bedeutet hätte, ablehnt und damit Marinellis ersten gewaltlosen und unblutigen Plan zunichte macht.

Im Hause Galotti trifft Marinelli den Grafen Appiani an und überbringt ihm den Auftrag, als Gesandter des Prinzen nach Massa zu reisen. Appiani nimmt diese ehrenvolle Aufgabe zunächst dankend an, lehnt jedoch ab, als er erfährt, noch am selben Tag abreisen zu müssen, was zwangsläufig seine Hochzeit mit Emilia verhindern würde. Er begründet diese Entscheidung dem scheinbar verblüfften Marinelli mit der Tatsache, dass er dem Prinzen nicht verpflichtet sei. Jetzt lässt Marinelli alle Höflichkeitsfloskeln fallen und fordert offen den Grafen dazu auf, die Hochzeit zu verschieben, was ja, aufgrund von Emilias niedrigem Stand, kein Problem darstelle. Appiani beendet den Dialog mit einer Beleidigung, die an Marinelli gerichtet ist, und wird deswegen von Marinelli zum Duell herausgefordert. Der Graf nimmt diese Herausforderung an und möchte diesen „Spaziergang“ (S 33 Z 16) sofort erledigen. Der Kammerdiener jedoch verschiebt die Angelegenheit auf unbestimmte Zeit und verlässt hierauf den Raum des Geschehens.


Den Aufbau der Szene bestimmen zwei Gesprächsphasen. Zuerst wird Marinellis Verhalten verdeutlicht bevor Appiani den Auftrag als Gesandter nach Massa zu reisen ablehnt. Danach schildert Lessing wie Marinelli sich verhält, nachdem sein erster Plan zur Verhinderung der Hochzeit gescheitert ist.
Anfangs kennzeichnet Marinellis Verhalten seine weit übertriebene Höflichkeit. Diese zeigt sich in seinen vielen inhaltslosen Floskeln, wie beispielsweise „Und wenn der Graf Appiani nicht (…) einen seiner ergebensten Freunde in  mir verkennen will – “ (S.30 Z.29 f.). Diese zweifelhaften Schmeicheleien unterbricht der Graf jedoch abrupt mit seiner Forderung „Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf“ (S.30 Z.29). In dieser Aufforderung wird der parataktische Satzbau und der Befehlston Appianis verdeutlicht, was einerseits auf eine gewisse Ungeduld des Grafen hinweist, andererseits aber auch seine Ablehnung gegenüber Marinelli deutlich macht. Auch scheint der Graf die Hofsprache des Kammerherren geringzuschätzen, benutzt er jene doch nie. Nun bringt Marinelli den eigentlichen Grund seiner Anwesenheit ins Gespräch. Er verkündet dem Grafen den Auftrag des Prinzen als „Bevollmächtigter“ (S.31 Z.3) nach Massa zu reisen. Dabei verweist Marinelli auch indirekt darauf, dass der Auftrag nur aufgrund  „[s]eines Zutun[s]“ (S.31 Z.8)dem Grafen erteilt wurde. In erster Linie möchte Marinelli damit dem Grafen schmeicheln um etwas Sympathie zu gewinnen. Allerdings kommen hier auch Marinellis Selbstgefälligkeit und Stolz zum Ausdruck. Diesen Anbiederungsversuch erwidert Appiani jedoch sarkastisch mit „Wahrlich, sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit(…)“ (S.31 Z.9 f.). Diese Bemerkung unterstreicht die Verachtung gegenüber dem Residenzadeligen. Er weist zugleich darauf hin, dass er nicht mehr mit einem Auftrag vom Prinzen gerechnet hat (vgl. S.31 Z.10 f.). Der Graf ist zwar Marinelli gegenüber abgeneigt, jedoch nicht dem Prinzen gegenüber. In seiner typischen Hofsprache macht Marinelli deutlich, dass er davon ausgehe, Appianis Freund zu sein (vgl. S.31 Z.14 f.). Dies ist, wie alle Schmeicheleien zuvor, eher heuchlerisch als ernst gemeint. Appiani verwendet den Begiff „Freundschaft“ (S.31 Z.16) in seiner Replik mehrmals, so dass er inhaltsleer und sogar etwas lächerlich wirkt. Die ironische Aussage „Des Marchesen Marinellis Freunschaft hätt ich mir nie träumen lassen.“(S.31 Z.17 f.) provoziert Marinelli geradezu. Dieser muss zurückstecken, denn ohne die Erlaubnis Appianis darf er ihn nicht seinen Freund nennen. Dann greift Marinelli das eigentliche Thema, nämlich den Auftrag des Prinzen wieder auf. „Nach einiger Überlegung“ (S.31 Z.24) nimmt Appiani ihn an.


„(…)Sie müssen noch heute abreisen.“ (S.31 Z.28). Diese Bedingung Marinellis gibt den Ausschlag, dass der Graf nun, nach einer kurzen Vergewisserungsphase, „die Ehre (…) [sich] verbitten muss“ (S.31 Z.32 f.). Marinelli ist wirklich fassungslos (vgl. S.31 Z.34 ff.). So ist doch sein erster, unblutiger und gewaltloser Plan zur Verhinderung der Hochzeit gründlich gescheitert. Dadurch hat der Graf im Grunde selbst sein Todesurteil gefällt. Seine Entscheidung begründet Appiani ironisch mit „eine[r] Kleinigkeit“ (S.32 Z.7), nämlich der bevorstehenden Hochzeit. Marinelli kannte natürlich diesen rund, spielt aber den Unwissenden (vgl. S.32 Z.6). Sein, aus Appianis Sicht, „verzweifelt naiv[er]“ (S.32 Z.10 f.) Kommentar „Nun ? und dann ?“ (S.32 Z.9) lässt erkennen, dass er diese Hochzeit wirklich als „Kleinigkeit“ (S.32 Z.7) sieht, meint er doch „dass sich Hochzeiten aufschieben lassen“ (S.32 Z.12 f.). Für ihn ist der „Befehl des Herrn“ (S.32 Z.17 f.) wesentlich wichtiger, da er auf ihn als Residenzadeliger angewiesen ist. Nun spielt der Graf seine Unabhängingkeit voll aus. Durch die mehrmalige Wiederholung des Begriffes „Herrn“ (S.32 Z.17 f.) macht er deutlich, dass ihm dieser Begriff wenig bedeutet. Dagegen hebt er den Unterschied zwischen ihm als „Freiwillige[n]“ (S.32 Z.20) am Hof und Marinelli als „Sklave[n]“ (S.32 Z.21) deutlich hervor. Appiani ist nicht an die Befehle des Prinzen gebunden, sondern nur an die des Kaisers, der Hofadelige jedoch ist direkt von seinem Fürsten abhängig.


Marinelli wird unübersehbar dadurch provoziert und lässt alle Höflichkeitsfloskeln fallen. Nachdem er vom Grafen selbst erfahren hat, dass es sich bei der Braut um „Emilia Galotti“ (S.32 Z.29) handelt, beginn
t er diese wenig standesgemäße Trauung zu bespötteln. Zuerst zeigt er das mit einem vieldeutigen „Hm.Hm.“ (S.32 Z.32); dann aber mit der sarkastischen Herabsetzung „die guten Eltern“ (S.33 Z.1). Aufgrund von Emilias bürgelicher Hekunft habe „es sonach um so weniger Schwierigkeiten, (…) die Zeremonie (…) auszusetzen“ (S.32 Z.34 ff.). Vor allem seine Anmerkung „Und Emilia bleibt ihnen ja wohl gewiss“ (S.33 Z.3) beleidigt er die Ehre von Appianis zukünftiger Frau. Diese Ehre muss Appiani wiederherstellen, indem er Marinelli als „ganze[n] Affe[n]“ (S.33 Z.5) bezeichnet, was zwangsläufig zu einem Duell führt. Marinelli scheint von Anfang an auf diese Eskalation des Dialoges hingesteuert zu haben, denn er verschiebt dieses Duell auf unbestimmte Zeit. So hat seine Schlussbemerkung „Nur Geduld, Graf, nur Geduld.“ (S.33 Z.18 f.) weniger zeitliche, sondern mehr richtungsweisende Bedeutung für den weiteren Verlauf des Stückes.

In dieser Szene kritisiert Lessing vor allem die Abhängigkeit und das damit verbundene Verhalten des Hofadels im Absolutismus. Der Vertreter dieser Gruppe Marinelli spricht meistens in inhaltslosen Phrasen, heuchelt falsche Schmeicheleien und falsche Freundschaft vor und bekundet nie seine eigene Meinung. Denn ein falsches Wort, fürchtet er, und er verliert seine ihm so wichtige Stellung am Hof. Diese Stellung ist das einzige, das er besitzt. Ohne die Gunst des Fürsten wäre er ein Niemand.

Ähnlich verhält es sich auch noch heute, nur etwas umgekehrt. Heute bettelt die Politik geradezu um die Gunst des Volkes. Sie macht Versprechungen, die sie nicht halten kann, zeigt in den Medien nur ihr strahlendes Lächeln und ihre Äußerungen richten sich meistens nur nach den neuesten Meinungsumfragen der Bevölkerung. Im Grunde genommen bestimmen ihre Reden größtenteils heuchlerische Versprechungen und inhaltslose Phrasen. Deswegen glaube ich behaupten zu können, das Stück ist auch heute noch aktuell, nur dass heute wirklich die Marinellis unserer Zeit an der Macht sind.

Kommentare

13 Antworten zu „Analyse der Szene II,10 aus „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing“

  1. Avatar von Simon
    Simon

    Danke für diesen Eintrag
    Hat mir meinen Übungsaufsatz erheblich verinfacht^^
    Danke nochmal

  2. Avatar von nata.
    nata.

     
    Ich habe auch zu danken°^wirklich gut geschrieben und für mich leicht verständlich-ohne den eintrag wäre ich hin gewesen-.-' ^^

  3. Avatar von ken
    ken

    Ich finde es scheiße, da du dir viel zu viel mühe gemacht hast.

    1. Avatar von Marlon
      Marlon

      Ich sehe den negativen Aspekt in „zuviel Mühe geben“ nicht.

  4. Avatar von Tobi
    Tobi

    Und unser Lehrer behauptet er habe dies selber geschrieben ;D

  5. Avatar von Boss
    Boss

    echt mega gut, respekt!

  6. Avatar von Linda
    Linda

    Eine sehr sehr sehr gute Dialoganalyse. Vielen Danke auch von meiner seits. Ohne dich wäre ich jetzt verweifelt.

  7. Avatar von Jill
    Jill

    Hat mir auch bei der Beantwortung einiger Fragen geholfen. Danke viel mal für die Mühe.

  8. Avatar von Simon
    Simon

    Hilfreicher Text, nur schreibtechnisch etwas hilflos und gefühlsgeleitet, ein Erwachsener kann so etwas nicht geschrieben haben…

  9. Avatar von Malte
    Malte

    Marinellis Angst vor direkter Konfrontation wird auch durch sein Verschwinden nach der Aufforderung Appianis zu einem Spaziergang deutlich.

  10. Avatar von Ziwap
    Ziwap

    Bis auf den letzten Abschnitt hilfreich. Die Interpretation wird später inhaltslos und die Aussagen wiederholen sich. Besonders die Übertragung auf die heutige Zeit gelingt nicht und es entsteht kein erkennbarer Zusammenhang, da die Aussage über die Politik sehr laienhaft und undifferenziert ist.

  11. Avatar von mistellor
    mistellor

    Danke, eine tolle, gut überlegte Arbeit

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